Der Zweck einer Dissertation ist nicht, den Doktortitel zu erlangen, sondern den Beweis zu erbringen, dass man zu selbständigem wissenschaftlichen Arbeiten fähig ist.
Es gibt Regeln*, die bei der Abfassung einer Dissertatioin beachtet werden müssen. Wer diese Regeln nicht kennt, dem wird es schwer fallen, den Beweis für die Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten zu erbringen.
Die wenigsten Doktoren arbeiten wissenschaftlich. Der praktizierende Arzt zum Beispiel arbeitet nicht wissenschaftlich, braucht also eigentlich auch nicht den Nachweis geführt zu haben, dass er es kann. Eigentlich müsste eher der Nachweis erbracht werden, dass er ein Könner als ein Wisser ist.
Wissenschaft und praktizierte Politik (so wie wir sie wahrnehmen) haben meines Erachtens nichts miteinander zu tun. Im Gegenteil: Wissen steht dem (klientelgerechten) Handeln mehr im Weg, als dass es hilfreich ist. Der Spruch „Wissen ist Macht“ meint eine andere Art von Wissen. Beispiele: Robert Greene: „Power – Die 48 Gesetze der Macht“ oder Han Fei: „Die Kunst der Staatsführung“ oder Niccolò Machiavelli: „Gedanken über Politik und Staatsführung“.
Wenn nun ein praktizierender Politiker bei der Ausarbeitung seiner Dissertation nicht die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens als maßgebend ansieht, sondern eher die Schriften Han Feis oder Machiavellis – hat der dann nicht bewiesen, dass er ein „guter“ Politiker ist? Als guter Wissenschaftler wäre er seiner Partei vermutlich völlig nutzlos.
* Literaturauswahl:
• Georg Rückriem / Joachim Stary / Norbert Franck: „Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens“
• Ewald Standop: „Die Form der wissenschaftlichen Arbeit“
• Klaus Poenicke / Ilse Wodke-Repplinger: „Duden – wie verfasst man wissenschaftliche Arbeiten?“