Agenda-21-Arbeit in Traunstein ist frustrierend

An die

Stadt Traunstein – Agenda-Koordination
Rathaus

24.09.2002

Liebe Mitglieder der Agenda-Arbeitskreise,

die Frustration, die sich in Agenda-21-Arbeitskreisen breitmacht, ist auf eine zu optimistische Einschätzung der Chancen zurückzuführen: Unsere Erwartungen stimmen nicht mit dem überein, was die Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) in Rio de Janeiro (Juni 1992) zu Papier gebracht hat.

Der Traunsteiner Stadtrat tut genau das, was in diesem Text steht, ich zitiere:

1.) „Die Privatwirtschaft einschließlich transnationaler Unternehmen und die sie vertretenden Verbände sollen gleichberechtigte Partner bei der Umsetzung und Bewertung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Agenda 21 sein“ (Kapitel 30.1).

2.) „Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine „kommunale Agenda 21″ beschließen“ (Kapitel 28.3).

Das heißt, dass die Wirtschaft gleichberechtigt mit den gewählten Volksvertretern bestimmt, was zu tun und zu lassen ist, während die Bürger mit der Verwaltung reden können. Mit der Verwaltung wohlgemerkt, nicht mit dem Stadtrat!

Traunstein hat eine lokale Agenda 21 beschlossen, dieser Punkt ist also vollständig erledigt. Den Dialog mit der Verwaltung, also mit Ihnen, liebe Frau Rassek, gibt es. Traunstein hat einen privatwirtschaftlichen Wirtschafts-Stadtrat installiert und großzügig finanziert, der aktiv an der Gestaltung unserer Stadt mitwirken will und soll: die Stadtmarketing-GmbH.

Wenn wir mehr erwartet haben, ist das unser Problem. Wir haben uns selbst getäuscht, jetzt sind wir ent-täuscht.

Auch den Begriff der Nachhaltigkeit hat mancher fehlinterpretiert. So wie er in der Forstwirtschaft gemeint war, von wo wir ihn entlehnt haben, und wie die Konferenz von Rio ihn umsetzen will, ist das leitende Motiv nicht der Abbau der Umweltzerstörung, sondern der dauerhafte Erhalt des wachstumsorientierten Weltwirtschaftssystems.

Trotzdem habe ich frohen Mutes den lokalen Agenda-21-Prozess in Traunstein zu unterstützen versucht. Ich habe dabei die stille Hoffnung gehegt, dass wir die Grenzen überwinden können, die ich oben unter 1. und 2. genannt habe.

Liebe Stadtverwaltung, den Informationsaustausch zwischen Bürgern und Politikern werden Sie nicht einführen können, wenn die Herrschaften jeden Zugang verbarrikadieren. Mehr als Sie kann da niemand erreichen. Es wird schon Gründe haben, warum diese erhabenen Geister in Parteien Deckung suchen, statt couragiert die Herausforderungen des Lebens anzugehen.

Ich meine, dass es eine Verschwendung von Energie ist, Leute überzeugen zu wollen, denen Macht allemal mehr wert ist als Wissen oder gar Weisheit. „Am schwersten sind diejenigen zu wecken, die sich schlafend stellen“ (chinesisches Sprichwort). Man kommt meist schneller ans Ziel, wenn man um den Berg herum geht, statt sich mit den Fingernägeln durch den Granit zu kratzen.

Meine Ausarbeitungen zur Siedlungsökologie, die ich gestern dabei hatte, verstehe ich als meinen Beitrag von Rohmaterial zu einem Produkt, das wir gemeinsam herstellen wollen. Sobald wir uns an die Arbeit machen, ein aussichtsreiches Projekt zu entwickeln, werde ich mein Material dazugeben, wenn es gewünscht wird.

Wenn ich schreiben könnte, wäre ich Schriftsteller geworden; meine Ideen müsste ich aber bauen dürfen, um sie begreifbar zu machen. Lassen Sie mich bitte mit fremden Worten aus ehrenwerterem Munde als dem meinen sagen, was mir noch zur Agenda 21 in Traunstein einfällt:

Zur Siedlungs-Planung:
Dass von den Völkern der Germanen keine Städte bewohnt werden, ist zur Genüge bekannt, auch dass sie nicht untereinander verbundene Wohnsitze ertragen. Sie wohnen getrennt und in verschiedenen Richtungen auseinander, wie ein Quell, wie ein Feld, wie ein Wäldchen Gefallen erregte. Dörfer bauen sie nicht nach unserer Art mit verbundenen und zusammenhängenden Gebäuden: jeder umgibt sein Haus mit einem freien Raum, ein Schutz gegen Unglücksfälle durch Feuer oder auch aus Unkenntnis im Bauen (Cornelius Tacitus, röm. Geschichtsschreiber, ca. 55-116: Germania)

Zum nachhaltigen Wirtschafts-Wachstum: Natürliche Bedürfnisse sind begrenzt; was aus dem Irrwahn entspringt, hat kein Ziel, wo es ende, denn das Falsche hat keine Grenze (Epikur, zitiert nach Seneca, aus den Briefen an Lucilius)

Zu den Agenda-Arbeitskreisen:
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll (Georg Christoph Lichtenberg)

Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muss derb auftreten: ein höfliches Recht will gar nichts heißen (Johann Wolfgang von Goethe in Egmont)

Die Wahrheit triumphiert nie, ihre Gegner sterben nur aus (Max Planck)

Wer nicht an die Zukunft denkt, der wird bald große Sorgen haben (Konfuzius)

Versuche, die Menschen durch gütliches Zureden zu gewinnen, handle aber auch gegen ihren Willen, wenn es die Gerechtigkeit so erfordert! Wenn sich Dir aber einer mit Gewalt widersetzt, dann wende dich etwas Ersprießlichem zu, was dir keinen Verdruss verursacht (Marc Aurel, Marcus Aurelius Antoninus, in „Selbstbetrachtungen“)

Mit freundlichen Grüßen

Thomas P. Bittner